Zweigleisiger Ausbau nach Stettin?

Amt Gartz (Oder), den 21.10.2015

Deutschland und Polen wollen ihre Anstrengungen für leistungsfähige und schnelle Schienenverbindungen zwischen beiden Ländern verstärken. Das ist das Ergebnis des ersten deutsch-polnischen Bahngipfels vom 11. September 2015 in Potsdam. Eine überraschende Erklärung von Bahnchef Rüdiger Grube nährt nun die Hoffnung, dass doch noch der notwendige zweigleisige Ausbau zwischen Berlin und Stettin (Szczecin, Polen) umgesetzt wird. 
 
Der Ausbau der Bahnstrecke von Berlin nach Stettin zieht sich seit Jahren hin. Dabei geht es um ein 40 Kilometer langes Teilstück zwischen Passow und Stettin, das nur eingleisig und nicht elektrifiziert befahrbar ist. Die Verhandlungen über ein Abkommen zum Streckenausbau begannen im April 2003. Optimistisch verkündete Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe zum 160. Jahrestag der Stettiner Bahn am 18. September 2003 in Berlin, dass diese Strecke auf 160 km/h ausgebaut wird. Die ministerielle Arbeitsgruppe verhandelte dann aber über acht Jahre bis 2011. Nach weiteren Verzögerungen wurde das Abkommen am 20. Dezember 2012 unterzeichnet. "Das Ergebnis der jahrelangen Verhandlungen war enttäuschend", so Amtsdirektor Frank Gotzmann. Das Teilstück zwischen Passow und Stettin sollte nur elektrifiziert werden. Das 1873 errichtete und 1945 abgebaute zweite Gleis sollte nicht mitverlegt werden. Die Umsetzung der eingleisigen Elektrifizierung zum Jahre 2020 bezeichnete das Leitmedium in Polen, die Gazeta Wyborcza, dann auch als Farce. Die deutsche Seite sei an einer schnellen Anbindung Stettins offensichtlich nicht interessiert, so die Zeitung. 
 
Der Tagesspiegel berichtete drei Jahre später am 11. Mai 2015 über weitere Verzögerungen beim sich nicht abzeichnenden Ausbau der Stettiner Bahn. Seit Dezember 2012 gebe es zwar ein Abkommen, ratifiziert werden soll es jetzt aber frühestens 2016. Am 2. Juni 2015 meldete der Tagesspiegel, dass bislang sechs Ausbauvarianten untersucht wurden. Um Kosten zu sparen, werde eine Sparvariante realisiert. Vor Ort reagiert man ungewohnt deutlich und genervt. Amtsdirektor Frank Gotzmann kritisiert den fehlenden politischen Willen für einen zügigen, zweigleisigen Ausbau: "Gerade angesichts der Probleme auf der Cottbuser Bahn nach dem eingleisigen Ausbau ist es kaum nachvollziehbar, dass dieser Fehler wiederholt werden soll." Er fordert einen zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung in 2019. Dann wird die PCK Raffinerie GmbH turnusmäßig gewartet und vom Netz genommen. Das sei für ihm das bevorzugte Zeitfenster für den dringend notwendigen Ausbau.
 
Mit der
Einstellung des Eurocity „Wawel“ von Berlin nach Breslau (Wrocław, Polen), der Einstellung aller Regionalzüge zwischen Dresden und Breslau Ende 2014 als auch zwischen Frankfurt/Oder und Posen (Poznań, Polen) Mitte 2015 wurde ein neuer Tiefpunkt im deutsch-polnischen Bahnverkehr erreicht. Die letzte Hiobsbotschaft erreichte die Region Ende August 2015. Die Machbarkeitsstudie zum Deutschland-Takt im Jahr 2030 im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums hatte auf einen Ausbau nach Stettin erst gar nicht Bezug genommen und alle Fernzüge nach Stettin gestrichen - während andere Großstädte mit einem 30-Minuten-Takt verbunden werden sollen. 
 
Das war Grund genug für Brandenburgs Ministerpräsidenten und den Polen-Koordinator der Bundesregierung Dietmar Woidke, zum ersten deutsch-polnischen Bahngipfel am 11. September 2015 nach Potsdam einzuladen. An dem Treffen nahmen unter anderem Bahnchef Rüdiger Grube und der PKP-Chef Jakub Karnowski, die Staatssekretäre für Verkehr beider Staaten, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich und Spitzenvertreter der grenznahen Bundesländer und Wojewodschaften teil. Ein konkretes Ergebnis ist unter anderem die Zusage der Bundesregierung und der Deutschen Bahn AG, die Elektrifizierung der Strecke Berlin - Stettin planmäßig bis 2020 anzustreben. Schon ab Dezember 2015 soll außerdem täglich ein weiterer Direktzug zwischen Berlin und Stettin verkehren. 
 
Obwohl Ministerpräsident Dietmar Woidke von einem „wichtigen Tag in den deutsch-polnischen Beziehungen“ sprach, blieben die Ergebnisse der Premierenveranstaltung eher bescheiden. Die wichtigste Erklärung fiel abseits des Protokolls. Bahnchef Rüdiger Grube kündigte Medienvertretern an, die Bahnstrecke zwischen Berlin und Stettin bis 2020 zweigleisig und elektrifiziert auszubauen. Das fordert das Amt Gartz (Oder) schon seit Langem. Auf die unerwartete Schützenhilfe von Deutschlands obersten Bahner angesprochen, erklärte Amtsdirektor Frank Gotzmann: „Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wenn man die Ausbauvarianten nüchtern betrachtet, ist das zeitgleiche Verlegen des zweiten Gleises und die Elektrifizierung der verbleibenden Lücke richtig und vernünftig. Dann werden endlich die Kriegsschäden, die als offene Wunden seit 1945 in der Region klaffen, behoben."
 
Zum Hintergrund: Die Stettiner Bahn, die Eisenbahnstrecke zwischen Berlin und Stettin, nahm am 16. August 1843 den Betrieb auf. Infolge des hohen Verkehrsaufkommens und der starken Frequentierung war sie bereits ab dem 1. August 1873 zweigleisig befahrbar - zu einer Zeit, in der weite Teile Deutschlands noch nicht eisenbahntechnisch erschlossen waren. Allein dies macht deutlich, welche überragende wirtschaftliche Bedeutung diese Strecke hatte. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Abbau des zweiten Gleises als Teil von Reparationszahlungen an die Sowjetunion setzte der Niedergang der Bahnstrecke ein. Lediglich durch den Aufbau des Petrolchemischen Kombinates in Schwedt/Oder hat die Deutsche Reichsbahn im Jahre 1974 auf der Teilstrecke von Berlin bis Passow das zweite Gleis wieder aufgebaut und im Jahre 1985 dann elektrifiziert. Die an sich zweigleisige elektrifizierte Strecke ist seitdem auf dem Streckenabschnitt von Passow bis Stettin Scheune (Szczecin Gumience) auf einer Länge von 40 km nur eingleisig und nicht elektrifiziert. Durch diese Infrastrukturlücke wird die Betriebsführung auf der gesamten 138 km langen Strecke erheblich eingeschränkt und behindert die Verkehrs- und Regionalentwicklung.
  

Stand: (03.11.2015, 21.10.2015,

16.09.2015, 14.09.2015)

 

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